Gedenken an NS-Opfer: Uetersen pflanzt Wildapfel

Gemeinsam Gedenken gepflanzt: Bürgermeister Dirk Woschei (Mitte vorn) und die Ratsmitglieder (v.l.n.r.): Christoph Zeuch (SPD), Katrin Stange (Grüne), Anne-Christin Speichert (SPD), Jens Ewald (Grüne), Sonja Birnbaum (SPD), Matthias Nowatzki (CDU), Volker Werth (FDP) und Wolfgang Passini (CDU)

Gemeinschaftsleistung aller Fraktionen: Die Rosenstadt hat nun auch ihren Zwillingsbaum zum Gedenkprojekt „1000 Buchen“ bei Weimar

Festlicher Rahmen, gut besucht – und sogar die Sonne strahlte: Zur Pflanzung des Zwillingsbaumes am 27. Januar 2024, dem internationalen Gedenktag für die Opfer des Holocaust und des Nazi-Terrors kamen rund 30 Personen aus Verwaltung, Politik, Senior*innen-, Kinder- und Jugendbeirat und der Bevölkerung in den Cäcilie-Bleeker-Park.

Außer der Rede des Bürgermeisters Dirk Woschei bereicherte der Gesang der Uetersener Chorknaben Männerstimmen mit „My Lord, what a morning“ und „Komm, Trost der Welt“ das knapp einstündige Programm.

Auch Martina Heller, die Vertreterin des Lebenshilfewerks Weimar/Apolda e.V., die das Projekt „1000 Buchen“ vor mehreren Jahrzehnten nahe der Gedenkstelle Buchenwald gestartet haben, war für einen Redebeitrag vorgesehen. Doch wegen des Bahnstreiks musste sie leider kurzfristig absagen.

Gelegenheit für unsere Ortssprecherin Katrin Stange ihren Rede-Part zu übernehmen.

Ihren Beitrag in ungekürzter Länge lesen Sie unterhalb der Bilder-Galerie.

Hinschauen! Gegenhalten! Heute. Morgen. Immer. Immer wieder.

Es fing nicht mit Gaskammern an.
Es fing an mit einer Politik, die von WIR gegen DIE sprach. Es fing an mit Intoleranz und Hassrede.
Es fing an mit der Aberkennung von Grundrechten.
Es fing an mit brennenden Häusern.
Es fing an mit Menschen, die einfach wegschauten.

(Urheber*in unbekannt)

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Liebe Mitbürger*innen!

Mein Name ist Katrin Stange. Ich bin Ortssprecherin von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Uetersen, Mitglied der Ratsversammlung. Leider musste die Vertreterin des Projekts „1000 Buchen“, Frau Heller, wegen des Bahnstreiks kurzfristig absagen.

So stehe nun ich hier vor Ihnen. Dafür bin ich dankbar.
Ich bin dankbar dafür, dass wir hier heute alle zusammen stehen!

ABER: Ich spreche ausdrücklich NICHT als Grüne Ortsvorsitzende,
sondern als Mutter, Tochter, Ehefrau.
Als Deutschlehrerin für Migrant:innen – Menschen die nach Vorstellungen eines Martin Sellner genauso nach Nordafrika deportiert gehören wie ich und am besten aus Sippenhaft-Gründen gleich meine ganze Familie, weil ich diesen Menschen helfe.

Ich spreche als Bürgerin der Stadt UetersenSchleswig-HolsteinsDeutschlands.

Ein Deutschland, in dem eine in Teilen vom Verfassungschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestufte Partei in unseren Parlamenten sitzt und bei den Wahlen in diesem Jahr beste Erfolgsaussichten hat.

Ein Deutschland, in dem es Treffen mit ranghohen Mitgliedern dieser Partei gibt, bei denen über die Reinheit von Ethnien und Deportation von Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte phantasiert wird.

Solche Treffen gibt es schon seit Jahren, nicht erst seit Herbst 2023.

Die Verbindungen zwischen der AfD, der Identitären Bewegung, neurechter Intellektueller wie Götz Kubitschek oder dem Kompakt-Verleger Jürgen Elsässer, gewaltbereiter Reichsbürger:innen und Neonazis.

Sie sind bekannt. Zumindest denjenigen, die hinschauen.

Ein Deutschland, in dem einige Spitzenpolitiker:innen es für eine großartige Strategie halten, Rechtsextremist:innen zu bekämpfen, in dem sie deren Positionen nachplappern. Und sie damit akzeptabel erscheinen lassen.

Sie sind es aber nicht!

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Es fing nicht mit Gaskammern an.

Es fing an mit einer Politik, die von WIR gegen DIE sprach.

Es fing an mit Intoleranz und Hassrede.
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Und was tun wir? Wir pflanzen einen Baum. Einen Wildapfel. Noch klein – aber ein Signal. Ein starkes Signal. FÜR Verständigung und gemeinsames Handeln.

Ein Signal GEGEN das Zaudern, Relativieren, Bedenkentragen. Gegen das ewige „naja,…“ und „ja,… aber…“

Der Weg hierher war nur 1,5 Jahre lang. Für Kommunalpolitik ist das richtig flott.

Am 21. Juli 2022 gab es eine längere Meldung auf ZDF-online, zufällig entdeckt. Der Inhalt mehr als nur beschämend. Am Tag zuvor hatte der Hass mal wieder zugeschlagen. Dieses Mal gegen Bäume.

Bäume des Projekts „1000 Buchen“ nahe der Gedenkstätte Buchenwald in Thüringen. Mit voller Absicht beschädigt, einige ganz zerstört. Bäume gepflanzt zum Gedenken an die Opfer des Nazi-Terrors.

20. Juli – das Datum müssen die meisten von uns wohl nicht nachschauen. Attackiert wurden die Bäume am Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler 1944 in der Wolfsschanze im heutigen Polen.

Fraktionsintern gab’s sofort große Diskussion – Ideen: man sollte, könnte, müsste… z. B. für jeden Baum mindestens zwei neue pflanzen! Ein Netz von Bäumen über die gesamte Republik!

Botschaft: Wo ihr zerstört, wächst die doppelte Menge nach!
Aber sollte, könnte, müsste: dadurch ändert sich nix. Man muss schon machen!

Also ans Telefon gehängt. Gedenkstätte Buchenwald, Gedenkstätten-Stiftung, Lebenshilfewerk – und schließlich bei der richtige Ansprechpartnerin vom Baumplfanzprojekt „1000 Buchen“ gelandet.

Überraschung – beiderseits!

  1. Dass sich ausgerechnet jemand aus dem Kreis Pinneberg meldete. Damit hatten sie wirklich nicht gerechnet. Und
  2. über die frohe Kunde: es gab viele Rückmeldungen der selben Art,

u.a. von der Landesregierung Thüringen, sogar vom FC Schalke 0/4 – und Uetersen! Ein Konzept gab es sogar schon: die lebenslange Patenschaft für einen Baum. Na denn man to!
Also Antrag geschrieben! Und wieder Telefonate und E-Mails.

Denn die eigentliche Herausforderung ist ja immer, andere Fraktionen für eine stabile Mehrheit zu überzeugenAllein geht es eben nicht.

Da war aber gar nichts zu überzeugen.
Nur offene Türen zum Durchrennen! Und die Extra-Idee der SPD, hier vor Ort diesen Zwillingsbaum zu pflanzen.

Schon 2 Monate später (!) haben wir die Baumpatenschaft einstimmig beschlossen. Nochmal 2 Monate später die Baumpflanzung bei Weimar. 4 Monate für Idee – Antrag – Beschluss – Umsetzung: Das ist Rekordzeit!

Nur mit der Zwillingsbaum-Pflanzung hat es dann noch etwas gedauert. Aber eben auch nur ca. ein Jahr. Davon können Bauivestor*innen nur von träumen.

Und hier stehen wir nun. Heute: am Internationalen Holocaustgedenktag.
Und pflanzen diesen Baum, der unser Engagement in Thüringen noch einmal mit Uetersen verbindet und für das Projekt wirbt.
Und zeigt: mit AustauschVerständigungEinigkeit können wir sehr schnell, sehr viel erreichen und handeln.


Und nur so #niewiederistjetzt mit Inhalt füllen. Mit Taten.
Wir können zum Beispiel auf Demos gegen Rechtsextremismus und Faschismus gehen – gleich um 11:55 Uhr ist etwa Gelegenheit dazu in Elmshorn!

Wir können aber auch jeden Tag und immer unsere Ohren aufmachen, genau hinhören, nachfragen, widersprechen. Sobald wieder so ein „Ich habe ja nichts gegen XY, aber…“ daher kommt.

Bei Bekannten, Freund*innen, Kolleg*innen, Nachbar*innen, Verwandten. Und: wir können eben auch gemeinsam einen Baum pflanzen,

im Gedenken an die Opfer des Nazi-Terrors! Und als Warnung:

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Es fing nicht mit den Gaskammern an.
Es fing an mit Menschen, die einfach wegschauten.

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Bitte schauen Sie hin! Halten Sie gegen!

Für all die Menschen, die auf unseren Schutz angewiesen sind. Und auch für uns selbst.

Für unsere Freiheit, Selbstbestimmung, Vielfalt, Toleranz, für den Erhalt unserer Demokratie und unseren gesamtgesellschaftlichen Frieden!

Frieden für uns in Deutschland, in Europa – am besten in der ganzen Welt!

Salam aleikum – Shalom alechem

Vielen herzlichen Dank!

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